Wahrscheinlich tragen Sie sich (schon länger?) mit dem Gedanken, ob Sie vielleicht eine Depression haben könnten. Es ist gar nicht so einfach, das für sich festzustellen, denn sämtliche Symptome sind im Prinzip Alltag und jedem bekannt. Ich kenne niemanden, der nicht schon einmal eine Phase hatte, in der die Arbeit nur mühsam von der Hand ging, das Aufstehen morgens eine Qual war, man nachts nur schlecht schlafen konnte, der Antrieb schwächelte. Auch kennt wohl jeder eine „Depri-Phase“, in der die Stimmung einfach schlecht ist und man sich nur schlecht ablenken oder aufheitern kann. Das ist völlig normal.
Viele denken deshalb, dass sie sich wahrscheinlich einfach bloß endlich mal zusammenreißen sollten und eigentlich nicht das Recht haben, sich zu beschweren - geht es anderen nicht noch viel schlechter? Sie denken vielleicht an einen krebserkrankten Bekannten, der mit Optimismus und Zuversicht gegen seine Krankheit ankämpft - und man selbst will sich beschweren, weil man niedergeschlagen ist? Darf man das überhaupt?
Ist das Ganze vielleicht nur eine Phase, die bald wieder vorübergeht? Einige denken, sie seien einfach nur urlaubsreif. Dann steht ein wichtiges Projekt an, das Stress auslöst und man sagt sich: wenn das erst ausgestanden ist, geht es mir bestimmt besser. Oder es gibt Unstimmigkeiten mit den Kollegen, unter Freunden oder in der Familie und man sagt sich: wenn die erst beigelegt sind, dann kann ich aufatmen.
In ganz vielen Fällen stimmt das sogar! Aber eben nicht immer. Dann kommt der Urlaub und man kann sich nicht entspannen, die Gedanken kreisen und wollen nicht zur Ruhe kommen. Erholung will sich nicht einstellen. Und dann ist das Projekt abgeschlossen, aber man spürt keine Erleichterung; die Konflikte mit den Kollegen werden beigelegt und immer noch ist die Stimmung düster.
Viele denken auch, einer Depression ginge immer ein schlimmes Ereignis voraus - das stimmt nicht. Natürlich kann (muss aber nicht) eine schreckliche Erfahrung eine Depression auslösen, aber vielfach gibt es keinen so offensichtlichen Auslöser, sondern es ist eine schleichende Entwicklung, manchmal über Jahre oder sogar Jahrzehnte. Und auch eigentlich positive einschneidende Erlebnisse und Veränderungen können sich negativ auf Ihre Stimmung auswirken, z.B. ein Arbeitsplatzwechsel, Umzug, Bestehen einer Prüfung etc.
Wenn also eine Phase nicht bloß eine Phase bleibt, sondern länger andauert (also mindestens zwei Wochen), dann sollte man genauer hinsehen.
Wahrscheinlich wollen Sie nicht gleich zum Arzt gehen, denn es könnte ja trotzdem sein, dass Sie um die ganze Geschichte viel zu viel Wind machen, oder? Dass Sie sich ein bisschen anstellen, sich bloß mal was Gutes tun müssen? Kann ja sein, dass Sie gar nichts „haben“, einfach faul sind und sich gehen lassen? Denn eigentlich ist Ihre Leben doch ganz schön und nehmen Sie nicht anderen, denen es viel schlechter geht, vielleicht den Behandlungsplatz weg?
Um eine vage Vorstellung davon zu bekommen, wie schwerwiegend Ihre Beschwerden sind, können Sie im Internet Selbsttests machen. Diese Tests können auf keinen Fall eine fundierte Diagnosestellung durch Fachleute ersetzen, können aber Anhaltspunkte geben. Achten Sie darauf, dass Sie bei Ihrer Suche auf seriösen Seiten landen und schauen Sie auch, von wem diese Seite kommt (steckt ein kommerzielles Interesse dahinter?). Zwei solcher „Psychotests“, die ich gelungen finde, finden Sie hier:
- http://www.deutsche-depressionshilfe.de/stiftung/depression-test-selbsttest.php (10 Fragen)
- http://www.therapie.de/psyche/info/test/depression/ (20 Fragen)
Eine Liste von Symptomen möchte ich an dieser Stelle nicht zusammenstellen, denn dafür gibt es genügend leicht zugängliche Quellen - geben Sie bei Google „Depression Symptome“ ein und Sie bekommen seitenweise Aufstellungen; vielleicht haben Sie das schon getan. Ich möchte mich stattdessen lieber jenen Informationen widmen, die etwas mühsamer zu finden sind.
Zusätzlich können Sie auch Foren für Betroffene aufsuchen und sich dort mit anderen austauschen. Wenn Sie die dortigen Postings lesen, stellen Sie vielleicht fest, dass Sie sich in vielem wiedererkennen. Auch das wäre ein deutlicher Hinweis darauf, dass Sie sich Hilfe suchen sollten.
Qualitativ sehr gut ist das Forum der Stiftung Deutsche Depressionshilfe: http://www.diskussionsforum-depression.de/diskussionsforum/
Dieses Forum wird von Fachleuten moderiert, das Niveau der Beiträge ist sehr hoch.
Aber auch das kann natürlich keine Diagnose ersetzen und Sie sollten beim Lesen auch bedenken, dass in solchen Foren die Realität leicht verzerrt dargestellt wird: viele User schreiben dort schon seit Jahren und haben z.T. einen langen Leidensweg mit wiederkehrenden Depressionen hinter sich. Erschrecken Sie nicht, denn es muss nicht so kommen - der bei weitem größere Teil der User schreibt nur für kurze Zeit, bekommt dann ärztliche und therapeutische Hilfe und fühlt sich schon bald besser, so dass sie das Forum nicht wieder aufsuchen.
Wenn Sie also - wenn auch nur diffus - das Gefühl haben, dass „etwas nicht stimmt“, dann sollten Sie sich kompetente Hilfe holen. Warten Sie nicht zu lange: je eher die Depression festgestellt und behandelt wird, desto besser. Eine unbehandelte Depression verschwindet unter Umständen tatsächlich von alleine wieder - aber das kann Monate oder Jahre dauern, viel länger als mit Behandlung. Außerdem besteht die erhöhte Gefahr, dass die Depression wiederkehrt.