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Angst

Jeder Mensch hat Ängste, und bis zu einem gewissen Grad sind sie auch unverzichtbar. Sie sorgen dafür, dass wir lebensgefährliche Situationen vermeiden und bei Konfrontation entweder fliehen oder zum Kampf übergehen. Es ist vernünftig, aus Furcht vor einem Absturz zu nahe an eine ungesicherte Steilküste zu treten. Wenn wir Angst haben durch eine wichtige Prüfung zu fallen, dann werden wir unser Lernverhalten intensivieren, um der Angst Herr zu werden; sie kann uns also zu einer besseren Leistung verhelfen.

Sobald uns die Ängste aber in unserem Alltag einschränken, die Lebensqualität beschneiden, wenn die Angst uns beherrscht statt wir die Angst und wenn sie ganz und gar unsinnig ist, dann spricht man von einer Angstörung. Und die ist behandelbar.

In seinem Buch “Anatomie der Angst - Ängste annehmen und an ihnen wachsen“ schreibt Egon Fabian:
“»Normal ist Angst, wenn

  1. sie bewusst ist, nicht geleugnet oder abgewehrt wird;
  2. sie in ihrem Ausmaß nicht das Leben und keine zwischenmenschlichen Kontakte und Beziehungen hindert, sondern eher als »Motor« des Lebensf fungiert;
  3. auch die Angst, die sie verursacht (die Angst vor der Angst) bewusst wird und zur Auseinandersetzung führt.“

Außerdem:
„Wie kann die Häufigkeit erklärt werden, in der Menschen ihre Angst durch Aggression ausdrücken?

  1. Aggression ist leichter zu ertragen als diffuse Angst; in der Wut »spürt« man sich, im Gegenteil zur diffusen Angst;
  2. Aggression kann gerichtet sein (z.B. gegen den Therapeuten), diffuse Angst nicht;
  3. Aggression ist in unserer patriarchalischen Tradition kulturell und sozial meist akzeptabler als Angst; sie wird immer noch mit Männlichkeit, Mut und Tapferkeit assoziiert;
  4. Angst macht ohnmächtig; Aggression hingegen kann gegen etwas oder jemanden gerichtet werden (in der Realität und der Übertragung) und damit das Gefühl von Ohnmacht aufheben (freilich gibt es auch ohnmächtige Wut, aber auch diese ist gegen jemanden, etwa einen überlegenen Feind, gerichtet);
  5. in der Gegenübertragung ruft Aggression Wut hervor, wird infolgedessen von den Eltern bzw. der Primärgruppe mehr beachtet; Angst hingegen ruft oft Hilflosigkeit hervor (die ihrerseits beispielsweise die Eltern wütend machen kann).“


Eugen Drewermann erklärt in seinem Buch Menschlich von Gott reden die Vorgänge auf neurophysiologischer Basis:
„Angst ist in der Tat ein Affekt in einer Krisensituation, die im Bewusstsein als Gefahr wahrgenommen wird. Sie ist identisch mit der Bereitstellung des gesamten Organismus auf Angriff oder Verteidigung. Neurologisch gesprochen, wird in dieser Situation vom präfrontalen Cortex eine Expressstrecke zur Amygdala gelegt, von dort zum Hypothalamus und über die Hypophyse zur Nebennierenrinde zur Ausschüttung von Cortisol. Hinzu kommt die verstärkte Ausschüttung von Adrenalin über das Rückenmark zur Innervierung des sympathischen Nervensystems. Beides zusammen geschieht so elementar, dass es aus Gründen der Zeitersparnis am Bewusstsein vorbeigeschaltet wird. Wenn wir erst noch überlegen müssten, was im Augenblick einer Gefahr zu machen wäre, käme die Handlung in aller Regel viel zu spät, so ähnlich wie die Reaktion eines Tennisspielers, der auf dem Center Court einen Ball zurückspielen will: Ein solches Return hat er tausendmal geübt, aber wenn er es im Einzelfall macht, denkt er an gar nichts, er hat gewissermaßen verinnerlicht, was zu tun ist.“

Regina Weiser schreibt in ihrem Buch “Mit Yoga Lebensängste bewältigen“:
„Angst ist ein allgemein menschliches Gefühl, das durch eine bedrohliche Vorstellung oder durch eine plötzlich auftretende reale Gefahr ausgelöst wird und sich in spezifischen körperlichen, emotionalen und gedanklichen Phänomenen Ausdruck verschafft. In dem Interview, das die beiden Psychotherapeutinnen Christa Diegelmann und Margarete Isermann mit Gerald Hüther führen, wird Angst folgendermaßen definiert: »Angst ist ein innerseelischer Vorgang, der vergangene unangenehme Erfahrungen in die Zukunft projiziert und dabei verallgemeinert und wenig Raum für neue Erfahrungen zulässt.« Dabei kann es sich um länger andauernde Stimmung oder um ein plötzlich auftauchendes Gefühl handeln. Das Wort »Angst« leitet sich von dem Wort »Enge« ab. Der Blickwinkel wird eingeengt, verliert Flexibilität, Weite und damit die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven wahrnehmen zu können, so dass auch von einem »Tunnelblick« gesprochen wird. Dem von Angst überfallenen Menschen fällt es schwer, an etwas anderes zu denken, er ist wenig offen für andere Denk- oder Sichtweisen.“

siehe auch:

Bücher:

angst.txt · Zuletzt geändert: 2012/09/30 20:00 von merle